Wir begeben uns auf den Weg, den die hungernden Weinfelder 1771 gegangen sind, als sie in Bellinzona je einen 65 kg schweren Weizensack gekauft und den auf ihren starken Schultern über den San Bernardino an den Bodensee und bis nach Weinfelden geschleppt hatten. Das sind rund 235 km in acht Tagen, und wir planen fast identische Tagesetappen wie damals - aber der kleine Unterschied ist buchstäblich ein gewichtiger: Wir haben nur ein Tagesrucksäcklein dabei...
Das also sind die Schülerinnen und Schüler des Pestalozzi-Schulhauses Weinfelden, die sich im Rahmen ihrer Projektwoche 2022 auf die beschwerlichen Spuren ihrer Vorfahren machten:
Er wiese uns einen Kauffmann an, der einen tuchladen, und zugleich Korn zu verkauffen hatte, namens Peter Bussny. Wir begaben uns zu demselben, den 31. May; er redete die teutsche Sprach gut, und wir wurden des Handels eins mit ihm.
Als wir nun aufgepackt hatten, assen wir noch zu Mittag, bezahlten den Zoll, und begaben uns um 12 Uhren auf die Ruckreise, und kamen denselben Abend auf Camj in Graubündten, um daselbst zu übernachten; weil wir aber spath dahin kommen, so wollte uns niemand beherbergen, bis endlich ein Mann sich über uns erbarmete und uns aufnahme. Als wir nach dem Nachtessen gesagt, wir wollend schlaffen gehen, so führte er uns etwa 100 Schritt aussert sein Hauss, zu einem alten zerfallenen Gebäu hin, welches wir als eine alte Gefangenschaft ansahen. Er sagte uns, wir müssen hierinn schlaffen. Daselbst mussten wir auf dem harten Boden ligen; kein einiger Strohhalm war da zugegen; nichts desto weniger schlieffen wir gut bis zum Anbruch das Tags.
Da wir uns dann Morgens um 3 Uhren auf den Marsch begaben, ...
Nachdem wir bezahlt hatten, giengen wir unsere Strass fort und stiegen allgemach den Bernhardinsberg an. Mittags kamen wir in den Flecken Mondsac und speisseten daselbst. Nahe bei diesem Flecken siehet man die Ueberbleibsel des zerfallenen Schlosses der Grafen von Mondsac (Misox). Wir giengen den Berg hinauf, als welcher von gedachtem Flecken bis zu dem Dörflein Bernhardin 3 ½ Stund hoch ist. Nachdem wir Abends etwann um 4 bis 5 Uhren ziemlich hoch auf den Berg kamen, so zogen sich schwarze, dicke Wolcken ob unserem Haubt zusammen, und fienge an entsetzlich zu regnen und zu schneyen... Wir sahen uns in einem dicken Wald eingehüllet, dessen Wege durch den unzehlichen Schnee und daher vorhandenen Morast vast nicht zu durchwanderen sind.
Ein entsetzlicher Nordwind durchstriche diese Höhenen, so dass wir glaubten, das Blut müsse sich vor Kälte in den Aderen stopfen; Finsterniss war um uns her in einem sehr engen Weg, rauschende Waldwasser waren zur Seiten, und wir stuhnden in Gefahr, durch den mindesten Fehltritt in ungeheure Tiefenen versenkt zu werden; wir merkten, dass wir des rechten Wegs verfehlet; die grimmige Kälte erlaubte uns nicht, unser Nachtlager daselbst aufzuschlagen; die finstere Nacht verdunklete uns den Weg, den wir gekommen waren; wir hatten bald alle Hoffnung des Lebens verlohren, legten uns nieder und seufzeten zu Gott. ...
Des folgenden hatten wir noch eine Stund wegs bis auf die Höhe des San Bernardino-Passes; daselbst empfanden wir eine so entsetzliche Kälte, dass unsere Trager ihrer schwehren Bürde ungeachtet, fast vor Kälte erstarren mussten; keiner hätte sich getraut, nur eine Minute still zu stehen, so förchterlich durchstrich der Nordwind diese Höhe.
In dem Dorff Hinterrhein übernachteten wir, und sind daselbst gut bewürthet, aber mit schlechtem Nachtlager versehen worden, in dem wir auf einem Heuboden, der nicht wohl vermacht ware, ligen, und grosse Kälte ausstehen mussten von durchstreichender Luft.
Ungefehr eine Stund ob diesem Dorff ist der Ursprung des grossen Rheinflusses. Den 3. Brachmonat morgens früh, nachdem wir unsere Zech bezahlt, begaben wir uns auf die Strass, durch das sogenannte Rheinthal oder Rheinwald. Als wir in zwey Stunden in dem Flecken Splügen angekommen, sahen wir eine grosse Menge Menschen, beyderley Geschlechts. Dann an diesem Ort kommen die zwey Pässe von Bellinzona und Chiavenna zusammen.
Von da giengen wir weiter bis auf Sufers, allwo wir zu Mittag assen; von dort wanderten wir durch das Samserthal (Schanfigg) und kamen Abends um 8 Uhr in Zillis glücklich an, und blieben in dem Gasthoff zu den 3 Königen übernacht.
Morgens machten wir uns zeitlich fort durch ungeheure Felssen hindurch. In dem Städtlein Thusis assen wir zu Mittag; bey dieserem Ort ergiesst sich die Albula in den Hinterrhein.
Von da marschierten wir bis in den Freysitz Reichenau, allwo wir übernachteten. Bey diesem Ort ist der vordere Rhein vereiniget; daselbst fangt man am auf diesem Fluss zu flössen, von wo viele tausend Stück Holz das Jahr hindurch bis nach Rheineck gebracht werden.